»Altweibersommer – Herbstliche Kulturgeschichten«
»Altweiber-sommer – Herbstliche Kultur-geschichten«
Der Altweibersommer – ein musikalischer Ausflug
von Anja Weinberger
Nun bleibt uns noch Piazzollas Version der Jahreszeiten. Der Titel Las Cuatro Estaciones Porteñas lässt sich leider nicht elegant ins Deutsche übersetzen, denn das Wörtchen »porteñas« bezeichnet die Einwohner der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Wie soll man es also ausdrücken, denn aus diesem zweiteiligen Städtenamen lässt sich auch beim besten Willen im Deutschen kein Adjektiv bilden. »Die vier Jahreszeiten von Buenos Aires« oder »… in Buenos Aires«? Nichts klingt rund. Aber das ist nicht schlimm, denn ursprünglich sind die vier Stücke Piazzollas gar nicht als Zyklus entstanden. Zuerst komponierte er Verano porteño, was wir einigermaßen geschickt mit »Sommer in Buenos Aires« übersetzen können. Dieser Tango, denn natürlich handelt es sich bei Piazzollas Werken um vier Tangos für vier Jahreszeiten, wurde schon 1965 als Musik zu einem Theaterstück komponiert. Erst einige Jahre später vervollständigte der Großmeister des Tango Nuevo den Jahreslauf, zunächst 1969 mit dem Herbst und schließlich 1970 mit Winter und Frühling. Und in dieser ursprünglichen Reihenfolge werden die vier Tangos üblicherweise auch gespielt – Sommer, Herbst, Winter und schließlich der Frühling. Piazzolla hat sie häufig mit seinem »Quinteto Nuevo Tango« gespielt, das anfangs aus Astor Piazzolla selbst am Bandoneon, Jaime Gosis am Klavier, Simón Bajour an der Violine, Kicho Díaz am Kontrabass und Horacio Malvicino an der elektrischen Gitarre bestand.
Der Herbst Otoño porteño beginnt von allen vier Tangos am entspanntesten und bleibt es auch am längsten. Ich sehe immer jemanden über einen weiten Platz schlendern, die Hände in den Taschen, die Sonne steht schon tief, der Sommer war lang, und der Körper freut sich über die angenehmeren Temperaturen.
Ungewöhnliche Klänge überraschen den Klassik-Enthusiasten. Die Geige kratzt den beinahe archaischen Tangorhythmus, das Bandoneon steuert warme Klänge bei, aber auch kurze, erwartungsvolle Kadenzen. Schließlich greift das Piano ein und stabilisiert den schwankenden, nachdenklichen und träumerischen Gang für kurze Zeit, um schließlich die langen Melodiegirlanden der Geige hervorzulocken. Diese scheinen unendlich zu sein, und die Rhythmusgruppe versucht hin und wieder erfolgreich, das musikalische Geschehen voranzutreiben. Und so geht der argentinische Herbst seinen kurzen Gang, um mit einer kompakten und beinahe an ein Ritornell erinnernden Schlussetappe auf den Winter zuzusteuern.
Von Piazzollas Jahreszeiten existieren unendlich viele Bearbeitungen, einige von ihm selbst, manche zumindest von ihm autorisiert und eine ganze Menge anderer. Selbst Orchesterbearbeitungen gibt es längst und natürlich auch eine Version für Klavier allein. Erstaunliches taucht auf, klickt man sich mit Hilfe des Computers durch die Welt der Musik. So gibt es z. B. auch eine Version für vier Klarinetten. All das versucht, den Tango Nuevo in unsere Konzerthäuser und Wohnzimmer zu holen, und ist schon alleine deshalb lobenswert. Aber Astor Piazzollas ursprünglicher Zyklus Las Cuatro Estaciones Porteñas in der ursprünglichen Besetzung für Tango-Quintett bleibt einfach unerreicht.
Adalbert Stifters Roman »Der Nachsommer« – ein literarisches Bildungsideal
von Meike Dahlström
Der Nachsommer erscheint 1857 in drei umfangreichen Bänden – mit dem von Adalbert Stifter (1805-1868) selbstgewählten Untertitel »Eine Erzählung«, der wohl irreführender nicht sein könnte. Die dicken Wälzer sind nicht jedermanns Sache: »weitschweifig«, »langatmig« oder einfach nur »langweilig« sind oft gehörte Adjektive, die sich der missverstandene und zu Unrecht als »beschaulicher Biedermeierdichter« verunglimpfte Autor gefallen lassen muss. Zwar hatte die schriftstellerische Karriere Adalbert Stifters mit dem Nachsommer ihren Höhepunkt erreicht, doch selbst Zeitgenossen fanden nicht allzu viel Gefallen an dem Werk; so heißt es in der Wiener Zeitung im Jahr 1858:
Vor dem erstgenannten Forum nun, vor dem der künstlerischen Anforderungen, ist ›Der Nachsommer‹ völlig unhaltbar. […] Es wird nichts erzählt, es wird nur gesprochen und besprochen. Von mehr als 1300 Seiten sind es zwei, buchstäblich zwei bis drei Seiten, auf welchen das Klopfen eines menschlichen Herzens zu vernehmen ist […].
Diese für Stifter schmerzliche Kritik wird der Bedeutung des Romans bei weitem nicht gerecht. Wer freilich einen unterhaltsamen und anregenden Bildungsroman im Sinne von Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre erwartet, wird hier enttäuscht werden: Mit einer Prise Selbstironie betont Stifter, dass derjenige, der »eine Heirathsgeschichte liest und hiebei rükwärts eine veraltete Liebesgeschichte erfährt, der weiß sich mit dem Buche ganz und gar nicht zu helfen, und muß endlich den Autor bedauern.« Das Entertainment seiner Leserschaft steht für Stifter keineswegs an erster Stelle: »Ist es keine große Dichtung, eine Dichtung ist es, kein Unterhaltungsbuch.«
Knapp zehn Jahre lang ist Stifter mit der Ausarbeitung seines Lieblingswerks beschäftigt. Der detailversessene Schriftsteller feilt, verbessert und schreibt um – die Zeit vergeht, sein Verleger Gustav Heckenast wird allmählich ungeduldig. Am 12. September 1857 schreibt der erschöpfte Autor endlich die lang ersehnte Nachricht an Heckenast: »Heute um 12 Uhr habe ich das letzte Wort des Nachsommers nieder geschrieben. Das war ein Stük Arbeit. Sie haben mir eine solche Angst gemacht, daß ich manchen Tag eilf Stunden beim Schreibtisch gesessen bin.«
Mit seinem Roman versucht Stifter, nicht durch eine dramatische Handlung, sondern im Gegenteil durch kontinuierliches Erzählen und Beschreiben wiederkehrender Tätigkeiten bildend und erziehend auf den Leser einzuwirken. Heckenast schildert er dieses Vorhaben:
Ich habe ein tieferes und reicheres Leben, als es gewöhnlich vorkömmt, in dem Werke zeichnen wollen. […] Dieses tiefere Leben soll getragen sein durch die irdischen Grundlagen bürgerlicher Geschäfte, der Landwirthschaft des Gemeinnuzens und der Wissenschaft und dann der überirdischen der Kunst der Sitte […]. […] Wer das Buch von diesem Punkte nimmt, der wird den Gang, wenn er mir menschliche Schwächen verzeiht, ziemlich strenge und durchdacht finden. Die Gespräche über Kunst und Leben sind […] Bildungsmittel für die jüngeren edleren Kräfte, die im Buche vor uns bis auf eine gewisse Stufe erzogen werden.
Jetzt trink‘ ma noch a Flascherl Wein – Holloderoh!« Die Wiener und der Wein
von Katharina Mölk
Wenn man nach Wien kommt, darf ein Besuch beim Heurigen nicht fehlen.
Österreichs Hauptstadt hat 585 Hektar Weinanbaufläche zu bieten und ist somit weltweit die Stadt mit der größten innerstädtischen Weinbaufläche. Etwa 640 Weinbauer produzieren jährlich ca. 2,5 Millionen Liter Wein, der Großteil wird direkt an die Konsumenten verkauft, vor allem beim Heurigen. Der kleinste Wiener Weingarten befindet sich im 1. Bezirk auf dem Schwarzenbergplatz und ist nur 170 m² groß. Der Wein, der aus diesen 70 Rebstöcken gewonnen wird, wird jedes Jahr für einen guten Zweck versteigert.
Postkarten-Industrie AG, Wien (POSTIAG) (Verlag), „Der Wiener Heurige“, um 1930, Wien Museum Inv.-Nr. 237039/27, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/1024715/)
Wein war schon immer ein wichtiger Teil der Wiener Geschichte: Der berühmte »liebe Augustin« überlebte sogar die fürchterliche Pest, weil er immer fleißig Wein konsumierte. Dem Zement für einen Turm des Wahrzeichens von Wien, des Stephansdoms, ist Wein beigemischt. Der Grund dafür ist, dass man den sauren Wein des Jahrgangs 1450 nicht wegschütten wollte. Und der Ausspruch des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl »Man bringe den Spritzwein« ist inzwischen unter den Wiener Kultzitaten zu finden.
So gibt es auch viele Lieder, die vom Weingenuss der Wiener erzählen, z. B. das Volkslied »Jetzt trink‘ ma noch a Flascherl Wein«:
»Der Weaner ist fidel,
Er fliagt mit Leib und Seel‘
Nur auf a Hetz, a Gstanz,
Auf laute runde Tanz.
Tut er beim Heurig’n sein,
Es schmeckt ihm gut der Wein,
Da kriegt er gar nicht gnua,
Er trinkt bis in der Fruah.
Jetzt trink’n ma noch a Flascherl Wein, Holloderoh!
Es muß ja nicht das letzte sein, Holloderoh!
Und ist der gar, gibt’s ka Genier’n, Holloderoh!
So tan wir nochmal repetier’n,
Ja, nochmal repetier’n.«
Solche Lieder werden unter anderem in Heurigenlokalen zum Besten gegeben. Doch was sind nun diese »Heurigen«?
Wenn man an Heurige denkt, denkt man an kleine, gemütliche Häuser mit herausgesteckten Föhrenbuschen und fröhlichen Menschen, die an Tischen und Bänken unter Weinlauben sitzen. Dazu spielt im Idealfall ein Schrammelquartett Wiener Lieder. Der Begriff »Heuriger« bezeichnet sowohl den diesjährigen Wein, im Gegensatz zum »alten«, als auch die Lokalität des Weinausschanks selbst, den »Buschenschank«. Diese Lokale wurden durch einen Tannenzweig am Tor des Winzers als geöffnet und zum Ausschank bereit gekennzeichnet. Daher kommt der Ausdruck »Aus’gsteckt is«.